Für Immobilienbesitzer ist die Denkmalpflege oftmals ein Schreck. Für den Heimatschutz ist sie heilig. Lockerungen an der Denkmalpflege bleiben kontrovers.
Der Kanton Thurgau wagt den Schritt. Er streicht drei Viertel von der Liste der Denkmalpflege. Im Jahr 2022 entscheid der Kanton St. Gallen, den Gemeinden mehr Freiraum in der Denkmalpflege zu geben. Diese Nachrichten vernimmt man schon. Aber was bedeuten sie eigentlich?
Jeder Kanton in der Schweiz führt ein Inventar von geschützten Bauten. Schutz heisst hier, dass die Immobilien unter dem Denkmalschutz stehen. Sie sind als besonders wichtig eingestuft und können baulich nur dann verändert werden, wenn spezielle Bewilligungen erteilt worden sind. Im Gegenzug wird der historisch korrekte Unterhalt dieser Bauten mit Subventionen gefördert.
Bei der Umsetzung der Denkmalpflege sind die Kantone relativ frei. Sie entscheiden selbständig, welche Bauten in ihr Inventar aufgenommen werden. «Eine Zeit lang wurde alles inventarisiert, und zwar ausgiebig,» sagt Peter Tucher, der sich mit der Entwicklung der Denkmalpflege beschäftigt.
«Jetzt ist aber eine Trendwende zu spüren. Kantone wollen sich auf wirklich schützenswerte Objekte konzentrieren», erklärt er weiter. «Dass der Kanton Thurgau die Liste radikal kürzt, ist ein Beispiel dafür.»
Drei Viertel Weniger
Tucher meint damit den Entscheid des Kantons Thurgau. In der Zukunft umfasst das Inventar noch rund ein Viertel der bisher mehr als 32’000 Objekte. Das ist das Resultat einer Neuausrichtung der kantonalen Denkmalpflege.
Gemäss Mitteilung des Kantons wird eine unabhängige Fachkommission nach wissenschaftlichen Kriterien die Objekte überprüfen und das «spezielle» Viertel vorschlagen, das weiterhin im Inventar bleiben soll.
Es sollen nur noch «die wichtigen Zeugen des baukulturellen Erbes» geschützt werden. Dadurch würden nur noch Objekte mit ausgewiesenen Denkmaleigenschaften im Inventar erhalten sein. Für jedes Objekt werde festgehalten, ob es von nationaler, kantonaler oder kommunaler Bedeutung ist.
Freiraum für Gemeinden
Bereits im Jahr 2022 erleichterte der Kanton St. Gallen die Denkmalpflege. Der Kantonsrat entschied nämlich, die Zuständigkeit für die Denkmalauswahl den Gemeinden zu gaben. Und zwar auch für jene Bauten, die kantonal und national von Bedeutung sind.
Bis zu jenem Zeitpunkt brauchte es die Zustimmung der kantonalen Denkmalpflege, wenn Objekte und Baudenkmäler verändert oder abgerissen werden sollten. Nach der Gesetzesänderung benötigen die Gemeinden keine Einwilligung der Fachstelle mehr. Der Kanton hat jedoch ein Rekurs- und Beschwerderecht und übernimmt eine beratende Rolle.
Heimatschutzvereine zeigten sich sehr besorgt über die damalige Änderung. Kathrin Hilber, ehemalige Präsidentin Heimatschutz St. Gallen/Appenzell sagte damals: «Für einen wirkungsvollen Schutz braucht es eine starke kantonale Denkmalpflege, sonst drohen Verluste von wichtigen Zeugen.»
Wenig Bewegung
«Das muss man alles relativieren.» So urteilt der Forscher für Denkmalpflege Peter Tucher. «Die Ängste des Heimatschutzes sind nicht eingetreten. Aber die grosse Flexibilisierung fand auch nicht statt. Gemeine und Kanton sind gut koordiniert.»
Was ist von den Bestrebungen des Kantons Thurgau zu halten? Tucher meint: «Fokus ist sicher gut. Die konkreten Auswirkungen auf den Schutz und auf die Flexibilisierung des Bauwesens werden wir erst in Jahren feststellen können.»
Henrique Schneider